5. Eine kurze Blüte

Das erste Mal traf sie Rene im Supermarkt. Er stand an der Kasse vor ihr, ziemlich groß und ziemlich dick, in einem fleckigen, ausgeleierten T-Shirt, mit Brot, Käse, Milch, Bier und Zigaretten. Er suchte lange in seinem Portemonnaie, um das passende Kleingeld zusammenzubringen. Barbara legte derweil ihre Sachen aufs Band, eine Packung fiel auf die Erde. Er bückte sich, um sie aufzuheben.
Ist ja Gott sei Dank nicht kaputt gegangen, es war offensichtlich, dass er mit ihr ins Gespräch kommen wollte. Barbara murmelte etwas und kümmerte sich um ihre Lebensmittel. Rene war fertig, hatte seine Sachen in einer Plastiktüte verstaut und blieb in ihrer Nähe stehen, bis sie sich anschickte zu gehen. Er ging neben ihr her.
Hier ist es viel billiger als drüben, bemerkte er und fügte, als sie schwieg, hinzu: Na ja, bis morgen dann. Kommste dann?
Sie lächelte: Ich komme immer nur Dienstags.
Am nächsten Dienstag um die gleiche Zeit war er da, kaufte Brot, Käse, Milch, Bier und Zigaretten.
Wie geht’s? Kommste mit ‘n Kaffee trinken?
Barbara kam mit. Sie tranken Kaffee in einem Stehcafe. Rene erzählte was von sich und seinem Computer. Barbara hörte zu und erzählte nichts.
Es wäre übertrieben zu sagen, dass sich Barbara auf den nächsten Dienstag gefreut hätte. Aber sie dachte die Woche über mehrmals an Rene und dass sie ihn in sechs, in fünf, in drei,  in zwei Tagen morgen treffen würde. Diese Gedanken waren weder besonders intensiv noch mit großen Erwartungen verbunden.
Barbara merkt, dass Rene sich für sie interessiert. Sie selbst hat noch kein Gefühl von Liebe, aber es gefällt ihr, dass Rene sie als Frau sieht und sie so nimmt, wie sie ist. Das kennt sie kaum.
Barbara und Rene kamen sich näher. Barbara fing an zu erzählen und im Gegensatz zu ihm, der immer dasselbe T-Shirt an zu haben schien, immer in den gleichen verbeulten Jeans herumlief, fing Barbara an, sich zurecht zu machen. Es war nicht besonders aufregend. Aber sie frisierte sich mit mehr Sorgfalt, schminkte sich die Lippen und zog sich mit mehr Überlegungen an. Barbara war nicht verliebt. Eine solche Regung war ihrem Herzen bislang fremd gewesen, und sie sollte das auch in ihrem Leben nicht kennen lernen. Aber sie empfand Interesse für Rene. Sie erfuhr, dass er öfter schon in der Klapse gewesen war, dass er laufend Medikamente nahm, dass er früher mal studiert hatte, jetzt aber von Sozialhilfe lebte, dass er ziemlich viel von Computern verstand und sich etwas Geld damit verdiente. Barbara fand das interessant, weil es das Leben eines anderen Menschen war, der es ihr erzählte, ohne etwas von ihr zu wollen.
Barbara war es gewohnt, dass die Menschen um sie herum sie für ihre Zwecke instrumentalisierten.
Lange trafen sie sich dienstags im Supermarkt und tranken danach ihren Kaffee im Stehen. Jeder zahlte den Kaffee für sich. Nie machte einer den Versuch, den anderen einzuladen. Eines Tages meinte Rene:
Kommste mit in meine Wohnung?
Er sagte nichts weiter dazu. Barbara fragte auch nicht. Sie ging einfach mit. Rene wollte mit ihr schlafen und sie ließ es zu. Sie fand es schön, aber nicht aufregend.
Nachher sahen sie zusammen Fußball, wie es Rene wollte, dann einen Film. Rene trank Bier.
Willste auch eins? Barbara wollte nicht. Wasser?
Nee. Barbara fühlte sich auch so wohl.
Sie saß in dem Sessel, der vor dem Fernseher stand, Rene auf dem Boden daneben. Er hatte darauf bestanden. Sie saßen in dem Raum, der Rene als Schlaf- und Wohnzimmer diente, der neben dem Bad und der winzigen Küche die ganze Wohnung ausmachte. In einer Ecke stand der Computer mit viel Kabelgewirr, CDs und anderem Kram. Auf dem Tisch lag alles durcheinander und dazwischen ein voller Aschenbecher. Als Barbara später ihre Tasche mit den Lebensmitteln nahm, um nach Hause zu gehen, brachte er sie ohne Einwände zur Tür. Er beugte sich zu ihr herab und gab ihr einen schüchternen Kuss auf die Wange. Barbara hielt ruhig, aber erwiderte den Kuss nicht.
Tschüss. Bis nächsten Dienstag, sagte er noch. Dann ging sie allein durch die Dämmerung nach Hause.
So hatte Barbara das erste Mal in ihrem Leben einen Freund und Liebhaber. Sie erzählte es niemandem. Und da sich ihre Lebensgewohnheiten kaum veränderten, merkte es lange Zeit keiner.  Nur Robert gegenüber, dem alten Freund der Eltern, machte sie einmal eine Bemerkung, dass sie eine Verabredung mit Rene habe. Robert wollte sie zu einem Bummel durch die Stadt einladen. Wieso Robert das machte, wusste Barbara nicht. Seit einiger Zeit schon lud er sie immer wieder ein, mit ihm, manchmal auch mit seiner Frau, etwas zu unternehmen. Sie gingen ins Kino, spazieren oder saßen in einem Cafe. Und da das Leben von Barbara eintönig war, hatte sie die Einladungen, die in ziemlich großen Abständen kamen, bisher immer angenommen. Aber diesmal sollte es an einem Dienstag Abend sein und Barbara sagte ab.
Die Mutter besuchte Barbara einmal die Woche. Dabei brachte sie ihr Lebensmittel mit. Was sie sonst noch brauchte, kaufte Barbara dienstags im Supermarkt. An dieser Gewohnheit änderte sich nichts. Im Supermarkt traf sie Rene, mit dem sie anschließend Kaffee trank. Manchmal ging sie mit in seine Wohnung, wenn er sie dazu einlud. Nie ergriff Barbara die Initiative, und nie lehnte sie sein Ansinnen ab. Nachher saß sie dann im Sessel vor dem Fernseher, Rene auf dem Boden. Er trank Bier, und auf dem Tisch standen Blümchen. Den Weg von Rene nach Hause, fast eine dreiviertel Stunde zu Fuß, machte sie allein.
Sie spürten, dass sie behutsam miteinander umgehen mussten. Die Ichgrenzen der beiden waren schwach und mussten respektiert werden.
Beide waren wortkarg. Aber die wichtigsten Dinge erfuhren sie voneinander. Als Rene eines Tages sehr unruhig war, von einem Bein aufs andere trat, meinte Barbara:
Zu viel Medikamente?
Waren wieder so viele Stimmen, da habe ich einfach was drauf geschüttet, bestätigte er und erzählte:
Mein Arzt gibt mir, was ich brauche, macht aber keinen Druck. Meine Schwester, die blöde Kuh, ruft an und will wissen, ob ich meine Medikamente nehme. Er erregte sich etwas.
Ist doch meine Sache. Meine Schwester ist 3 Jahre älter und hat Kinder, um die sie sich kümmern kann. Kohle hat sie auch; der Computer ist von ihr.
Etwas änderte sich doch an den Gewohnheiten Barbaras. Sie saß neuerdings oft am Fenster und schaute auf die Straße hinaus. Es gab da nichts Besonderes zu sehen, Fußgänger, Autos, ein Kiosk. Es war keine belebte Straße, eine der üblichen Nebenstraßen in der Stadt, ohne Bäume, mit vielen parkenden Autos. Aber es war der Blick nach draußen, in die Welt. Es war nur wenig Himmel zu sehen, das Blau bei Sonnenschein, das Grau bei Regen. Sie sah die leichte Kleidung der Menschen, wenn es warm war, den hastigen Lauf, wenn es regnen wollte. Sie sah Mütter, die geduldig oder auch weniger geduldig mit ihren kleinen Kindern den Bürgersteig hinunter gingen, Lieferanten, die etwas in die Häuser trugen, alte Männer, die zum Kiosk schlurften. Und sie sah die Fenster gegenüber, manche, die immer gleich aussahen und nichts dahinter erkennen ließen, andere, die den Blick in ein wechselvolles Leben frei gaben. Es blieb bei der Distanz. Barbara nahm am Leben nicht mehr teil als früher, aber sie nahm die Welt zur Kenntnis.
Barbara hatte sich immer im Mittelpunkt ihres Daseins gesehen, nicht weil sie sich so wichtig genommen hätte, sondern weil sie keine richtige Vorstellung davon hatte, wie die Welt um sie herum beschaffen war. Mit der Beziehung zu Rene entdeckte sie, dass Rene etwas ganz eigenes war. Das war etwas ganz anders als die Beziehung zur Mutter. Der Mutter war sie zwar wichtig, aber so dass sie sich wie ein Teil der Mutter fühlte, als ob sie eigentlich noch nicht geboren war. Rene war etwas eigenes und darum war sie neben ihm auch etwas eigenes, nicht zuletzt darum, weil er ein Mann, sie eine Frau war. Sie verstand erst jetzt, dass zwischen ihr und den anderen, zwischen ihr und der Welt ein unüberbrückbarer Unterschied war. Es gab etwas, was nicht nur ihre Phantasie war, sondern wirklich.
Das besondere war, dass sie sich mit etwas anderem als sich, ihren Symptomen und ihren Gewohnheiten beschäftigte, dass sie an einen anderen Menschen dachte, dass ihre Zeit einen Fixpunkt bekam. Das Leben von Barbara hatte etwas bekommen, das sie vergessen ließ, darüber nachzudenken, wie man lebt. Sie lebte einfach, wenn auch noch sehr schwach.
Eines Dienstags war Rene nicht da. Barbara machte ihre Einkäufe wie immer. Auch dann tauchte er nicht auf. Barbara ging nach Hause. Sie rief ihn nicht an, sie ging auch nicht zu seiner Wohnung, die ganze Woche über. Aber schon am ersten Tag wurde sie unruhig. Sie legte sich aufs Bett, wie sie es jeden Tag tat, um da stundenlang zu liegen. Aber jetzt stand sie auf und ging unruhig in der Wohnung hin und her. Sie schaute aus dem Fenster, sie horchte auf die Klingel, ging zum Telefon. Wer sollte kommen, wer anrufen? Ein Gefühl machte sich in ihr breit, das sie nie vorher gehabt hatte. Barbara machte sich Sorgen. Sie dachte an ihn mit der Frage, was er mache, wie es ihm gehe. Barbara schlief schlecht und träumte viel, ohne am Morgen zu wissen, wovon. Nach zwei Tagen ging sie, ohne Vorsatz, zum Supermarkt. Verstört stand sie zwischen den Regalen und wusste nicht, was sie dort sollte.
Hier merkt Barbara, dass die zarte Liebe etwas mit ihr gemacht hat.
Die Mutter, die seit Monaten mit einer Mischung aus Zufriedenheit, Neugier und unerklärlicher Angst bemerkt hatte, dass Barbara ruhiger und gefestigter erschien, registrierte die neuerliche Unruhe von Barbara mit dem Gedanken: Wie sollte das auch gut gehen? Und sie bemerkte auch, dass Barbara, trotz der Unruhe, nicht die Nähe der Mutter suchte.
Am nächsten Dienstag hatte sich Barbara etwas gefangen. Doch war sie noch so nervös, dass sie ihr Portemonnaie vergaß. Sie musste auf halbem Weg umkehren, um es zu holen. Rene war wie gewöhnlich schon im Supermarkt.
Ich dachte, du kommst nicht, sagte er und fuhr fort:
Meine Eltern und meine Schwester waren letzte Woche da. Ich musste mit zu meiner Oma, die hat einen Schlaganfall. Sie liegt im Krankenhaus und kann nicht essen. Es läuft ihr immer wieder aus dem Mund.
Barbara nahm es zur Kenntnis und sagte nichts.
Die rechte Seite ist gelähmt, ergänzte Rene.
Magst du deine Oma? fragte Barbara schließlich.
Als ich klein war, habe ich ein paar Jahre bei ihr gelebt. Sie kann prima kochen. Immer wenn ich zu ihr gehe, kocht sie für mich. Dann korrigierte er sich bekümmert: Hat sie gekocht. Die Ärzte sagen, dass es nicht gut aussieht.
Barbara war schweigsam. Sie betrachtete Rene, wie er sprach und rauchte. Das erste Mal sah sie ihn genau an. Sie sah sein wirres, dichtes, dunkles Haar. Müsste mal wieder gewaschen werden.
Sie sah seine klaren grauen Augen. Er spricht mit den Augen.
Die Gesichtshaut war glatt. Er musste sich am Morgen rasiert haben. Das T-Shirt war ausgeleiert und fleckig. Der Bauch war entschieden zu dick. Die Finger der rechten Hand waren gelb von Nikotin. Barbara hörte auf seine Stimme. Es war eine männliche, ruhige, warme Stimme, die sie einhüllte wie eine warme, weiche Decke. Sie bemerkte zum ersten Mal, dass sie sich neben ihm, der so groß war, beschützt fühlte.
Die Ordnung in ihrem Leben änderte sich nicht. Die Mutter kam und versorgte Barbara mit dem Notwendigsten. Sie erledigte auch alle wichtigen Dinge, z. B. Bezahlung der Miete, des Telefons etc. Barbara hielt ihr Wohnung sauber und kochte sich schon mal etwas. Mit den Speisevorschriften war es seit Ausbruch der Psychose nicht mehr so schlimm. Ab und an ging sie zum Arzt, holte sich die Medikamente und ließ die Untersuchungen machen, die notwendig waren. Sehr selten ging sie ins Haus der Eltern und traf dort den Vater, manchmal auch ihre Schwester bzw. deren Familie. Mit Robert ging sie gelegentlich aus, auch schon mal zusammen mit seiner Frau. Dienstags ging sie in den Supermarkt, traf dort Rene, trank mit ihm Kaffee und ging manchmal mit ihm nach Hause.
Das war ihr Leben. Aber dieses Leben hatte sich in einer nur für Barbara bemerkbaren Weise völlig verändert. Das erste Mal, als sie Rene an einem Dienstag im Supermarkt traf, das zweite Mal, als Rene eines Dienstags nicht erschien. Die Unruhe verließ sie von diesem zweiten  Dienstag an nicht mehr. Barbara war besorgt. Sie war besorgt um Rene, aber, wie sie undeutlich bemerkte, auch um sich.
Barbara hatte eine bessere Vorstellung davon bekommen, was die Wirklichkeit ausmacht. Aber an jenem Dienstag, als Rene nicht kam, hatte sie erfahren, dass darin auch eine Trennung enthalten ist, die sich nie auflösen lassen würde. Über die wirklichen Dinge kann man nicht beliebig verfügen, und was Rene macht, kann Barbara nicht bestimmen. Sie hatte sich von Rene abhängig gemacht. Damit war die Angst geboren, dass sie Rene auch wieder verlieren könnte. Das zu ertragen, war Barbara zu schwach.
Sie quälte sich. Nur wenn sie bei Rene war, wenn sie zusammen im Bett lagen oder vor dem Fernseher saßen, ging die Unruhe weg. Man hätte fast sagen können, dass sich in diesen Augenblicken so etwas wie Glück einstellte. Es war das Gefühl der Einheit mit sich, es war Ruhe und Leben. Sie lag neben ihm im Bett und griff nach ihm. Er war fest, man konnte ihn fühlen, er war ein wirklicher Mensch, er roch intensiv. Manchmal war er verschwitzt. Wenn sie miteinander Sex hatten, zogen sie sich nur die Hosen aus. Oben herum blieben sie bekleidet. So waren sie nie ganz nackt. Aber oft hatte Barbara das Gefühl, Rene würde sich wie ein Nebel auflösen. Dann überfiel sie Angst. Sie setzte sich auf, griff nach Rene. Mehr konnte sie nicht.
Oft versuchte sie es mit dem Fernsehen, manchmal auch mit Biertrinken. Sie wollte sich ablenken. Das gelang nicht. Barbara hatte früher kaum jemals ferngesehen und jetzt fehlte ihr Rene dabei; denn Fernsehen, das war fest mit Rene verbunden. Aber diesen Zusammenhang durchschaute sie nicht. Sie ging öfter mal spazieren. Doch wohin sollte sie gehen? Irgendwie lag es nahe, zu Rene zu gehen oder einfach mal mit ihm zu telefonieren. Barbara ahnte, dass dadurch nur alles schlimmer werden würde.
Eines versuchte Barbara nicht: die Medikamentendosis zu erhöhen. Das hätte sie mühelos erreichen können. Wahrscheinlich wäre ihre Unruhe von der Apathie, die die Medikamente erzeugt hätten, auch erschlagen worden.
Eines Dienstags ging Barbara nicht mehr zum Supermarkt. Sie blieb zu Hause. Die Mutter fand sie in einem schrecklichen Zustand vor. Man sah ihr die Qual, die Unruhe und Angst an. Barbara zitterte am ganzen Körper. Der herbei gerufene Arzt gab Barbara eine Spritze, nach der sie lange schlief. Danach ging es wieder los. Barbara konnte aus Angst das Haus nicht mehr verlassen. Auch die Verabredung mit Robert nahm sie nicht wahr. Aber im Gegensatz zu früher wollte sie keine Medikamente. Sie sträubte sich vehement, in die Klinik zu gehen, und sprach mehr als sonst mit ihren Stimmen. Alle Gedanken und Erinnerungen an Rene und die Zeit mit ihm waren verschwunden. Statt die Sorge um Rene hatte sie nun Angst. Barbara hatte Rene mit ihrer Angst ausgelöscht.
Hätten die Ärzte oder die Mutter von Rene gewusst, hätten sie gesagt, dass die neu aufbrechende Krankheit die Beziehung zu Rene zerstörte. Aber wir denken, dass es umgekehrt war. Weil sie die Liebe nicht ertragen konnte, wurde Barbara wieder psychotisch. Sie hat kapituliert.
Es war eine schreckliche Zeit, die sich über viele Monate hinzog. Nichts half. Die Nachbarn hörten sie oft in ihrer Wohnung schreien und schimpfen. Oder sie rief bei der Mutter an und sprach wirres Zeug. Sie zerriss ihre Kleider, zerstörte die Wohnungseinrichtung und rief unverständliches Zeug durchs offene Fenster auf die Straße. Schließlich kam Barbara gegen ihren Willen in die Klinik. Unter den Medikamenten, die man ihr dort gab, war sie so eingeschränkt und gedämpft, dass die Mutter ihr Kind nicht wieder erkannte. Wie ein Roboter lief sie geradeaus. Der Speichel lief ihr aus dem Mund und sie war unfähig, auch nur eine kurze Zeit den Körper ruhig zu halten. Die Mutter holte sie aus der Klinik und versorgte sie wie früher. Die Medikamente wurden etwas reduziert, so dass Barbara wieder ein menschliches Gesicht bekam. Aber dadurch kam die Angst zurück. Barbara verließ ihre Wohnung nicht mehr.
Auch dieser erbärmliche Zustand dauerte lange. Es verging ein Jahr und fast noch ein zweites. Erst als Barbara wusste, dass sie bald sterben würde, wurde es besser. Die quälenden Gefühle in ihr schwanden. Und damit verblassten auch die  Erinnerungen. Nur noch gelegentlich sah sie in ihrer Seele flüchtige Schatten von Menschen. Möglich, dass Rene auch dabei war. Damit kehrte Ruhe in Barbara ein, eine Ruhe, die sie nie in ihrem Leben gekannt hatte.


Zum Buch II: Die Familie Rein – Die familiäre Ebene