Selbstverletzung

Menschen verletzen sich selbst, manchmal schwer. Sie schneiden sich mit einem Messer oder Rasierklingen in den Arm, die Beine, den Bauch oder stechen sich mit Nadeln oder brennen sich mit Zigaretten oder schlagen sich, verletzen sich am Darm oder der Vagina, so dass es daraus blutet, oder verschlucken Gegenstände. Es gibt eigentlich nichts, was nicht schon versucht worden wäre.

Wenn seelische Regungen sehr schmerzhaft sind, kann ein körperlicher Schmerz dagegen als Erleichterung empfunden werden. Ein Beispiel dafür wäre, dass man sich von einem Menschen, den man sehr liebt, sehr gekränkt fühlt. Die Gleichzeitigkeit von leidenschaftlicher Liebe und heftigem Hass, der durch die Kränkung ausgelöst wird, ist nicht zu ertragen. Ein körperlicher Schmerz, der die innere Aufmerksamkeit auf den Körper lenkt, würde in einer solchen Situation u. U. als Befreiung empfunden. Im Seelenleben existieren nämlich die unterschiedlichen Gefühle nebeneinander. Liebe und Hass z. B. gleichen sich nicht aus wie Soll und Haben bei der Bank, sondern sind unabhängig voneinander.

Bei Menschen, deren gefühlsmäßige Reaktion sehr spannungsreich ist, kann die Selbstverletzung ein Mittel werden, diesen Spannungszuständen aus dem Weg zu gehen. Das ist die Regel bei dem, was man Borderlinestörung nennt.

Durch eine Therapie kann man lernen, aus der Gefühlsreaktion heraus zu einer angemessenen Handlung zu finden. Das nämlich ist die Lösung immer bei Gefühlen. Wenn ich liebe, will ich der geliebten Person nahe sein, wenn ich hasse, will ich sie aus meinem Leben entfernen, wenn ich Angst habe, will ich davon laufen usw. Wenn es also gelingt, die Gefühle in angemessene Handlungen überzuleiten, sind auch heftige Gefühle zu ertragen. In akuten Situationen kann man vorübergehend durch Medikamente die Heftigkeit der Gefühlsreaktion mildern.

Selbstverletzungen können aber auch eine ganz andere Bedeutung haben. Manchmal ist der Triumph über den Schmerz das Ziel, oder der Schmerz wird lustvoll empfunden, oder es geht darum, sich zu bestrafen usw. Soldaten haben sich verletzt, um aus dem Gefecht genommen zu werden, Gefangene, um ins Krankenhaus zu kommen usw.